VALIE EXPORT, eine der weltweit bedeutendsten Vertreterinnen der konzeptionellen Performance- und Medienkunst, wurde 1940 in Linz geboren. Nun hat die Stadt Linz das VALIE EXPORT Archiv erworben und damit den Grundstein für eine internationale Forschungsstätte für Medien- und Performancekunst, das VALIE EXPORT Center, gelegt. Die Archivalien – Projektskizzen, Konzepte, ein umfassendes Foto-, Film- und Videoarchiv, Korrespondenzen sowie einige Werke – gehen in die Sammlung des LENTOS Kunstmuseum über, beforscht werden sie gemeinsam mit der Kunstuniversität Linz.
Haben Sie die Entwicklung von Linz zur „Medienkunststadt“ über die ganzen Jahre verfolgt?
VALIE EXPORT: Als Ars Electronica gegründet wurde, war ich die meiste Zeit in den USA. Die Gründung an sich habe ich also gar nicht so direkt mitbekommen. Aber ich habe immer wieder davon gehört, ich habe Einladungen bekommen. Ich habe also gemerkt, dass da eine große Veränderung im Gange war. Allerdings war es am Anfang ein bisschen ruhig. Ich glaube, Ars Electronica ist erst etwas später wirklich präsent in der Stadt gewesen. Nichtsdestotrotz war ich ganz überrascht, dass sich so etwas in Linz ansiedeln kann, in dieser Industriestadt, in dieser Stahlstadt. „Medien“ sind ja doch etwas ganz anderes als die Stahlindustrie. Da hätte man ja denken können, dass in Linz eher eine Skulpturstadt entstehen hätte können – so wie Helmuth Gsöllpointner es mit seinen StudentInnen vorgemacht hat. Das hätte ich mir eher erwartet, denn Linz hat so viele Freiflächen. Und in Linz gibt es ja nicht nur Stahl, sondern auch Stein, es gibt verschiedene Steinbrüche in der näheren Umgebung. Holz gibt es genauso, man hätte also verschiedene Materialien verwenden können.
Das Forum Metall (eröffnet am 12. September 1977) und dann auch das Forum Design (1980) – die beiden Ausstellungen, die Helmuth Gsöllpointner konzipiert hat – habe ich gesehen. Die waren ein richtiger Sprung, im österreichischen, aber auch im europäischen Kontext … Vielleicht haben diese beiden Ausstellungen innovative Geister geweckt, die erkannt haben, dass man aus Linz – trotz der Vergangenheit, die auf der Stadt lastete –, mehr machen kann, etwas, das in die Zukunft schaut. Das Forum Design war ein Juwel. Und ist immer noch ein Juwel. Der Geist dahinter ist nicht verschwunden, auch wenn die Ausstellung selbst nicht mehr existiert.
Linz – die Größe der Stadt ist gerade richtig, die Lage ist richtig, und die Vergangenheit ist insofern richtig, als man sie wegbringen muss.
Ein wichtiger Punkt für Linz war auch die „Nike von Samothrake“ der Architekten Haus-Rucker-Co – eine Skulptur im urbanen öffentlichen Raum, angebracht an einer sehr besetzten Architektur – am Dach der Kunstuni, die während der NS-Zeit errichtet wurde. Das brachte einen intensiven Dialog in Gang und traf eine historische Aussage – und man muss auch die Stadt Linz dafür loben, so etwas überhaupt ermöglicht zu haben. Die historische Geschichte der Vergangenheit und der Zukunft …
Damals muss man sich wohl gedacht haben: Aus Linz kann man etwas machen. Dazu kommt: Die Größe der Stadt ist gerade richtig, die Lage ist richtig, und die Vergangenheit ist insofern richtig, als man sie wegbringen muss. Es ist eine Vergangenheit, gegen die man etwas setzen muss, auch gegen die künstlerischen und kulturellen Intentionen, die es damals gab. Dann sind diese Bewegungen entstanden.
Ich glaube, dass Ars Electronica damals wirklich ein großer Sprung vorwärts war, genauso wie früher schon die Errichtung des 1974 eröffneten Brucknerhauses, weil Bruckner ein dezidiert relevanter oberösterreichischer Komponist ist, der als Komponist sehr interessant ist. Und Musik in eine Stadt zu bringen ist für jede Stadt ein großer Schritt.
Und was meine persönliche Entwicklung betrifft: Eines meiner einschneidenden Erlebnisse war, als ich als Siebenjährige in der Neuen Galerie im Kubin-Kabinett die Zeichnungen von Alfred Kubin kennen gelernt habe und immer wieder gesehen habe. Kubin hat sicherlich mein „Gefühl“ für die Zeichnung, für Geschichten, die sich durch Zeichnungen ausdrücken, ich meine damit, wenn ich es heute so sagen möchte, mein künstlerisches Empfinden, meine „Liebe“ für oder zu einem künstlerischen Ausdruck geweckt, aus mir herausgeholt. Aber die künstlerische Situation, die Galerie-Situation in den 50er- und 60er-Jahren, war alles andere als aufbauend, das muss man dazu sagen.
Gibt es eine Beziehung zwischen Ihrer Arbeit und dem, was bei Ars Electronica passiert ist? Haben Ideen, die bei Ars Electronica diskutiert wurden, einen Einfluss auf Ihr Schaffen gehabt?
VALIE EXPORT: Zwischen Ars Electronica und mir gab es einen Dialog. Ich habe mich ja schon lange davor mit Medien beschäftigt. Es war ein Dialog, der sich ausgeweitet hat, so wie sich auch die Medien ausgeweitet haben. Es haben bei Ars Electronica interessante Symposien und Vorträge stattgefunden – da ist eine Art Austausch entstanden: Ich hatte Informationen darüber, was dort passierte, und manchmal waren da für mich ganz neue Dinge dabei. Man könnte sagen, es war eine „imaginäre Partnerschaft“.
Und jetzt kommen Ihr Vorlass und Ihr Archiv nach Linz. Was ist das für ein Gefühl?
Linz ist ein guter Ort dafür, die Dinge aufzubewahren und auch zu verwalten.
VALIE EXPORT: Ich bin sehr froh, dass das passiert, weil ich glaube, dass Linz ein guter Ort dafür ist, die Dinge aufzubewahren und auch zu verwalten. Die Entscheidung, die wir dann auch gemeinsam getroffen haben, nämlich dass es ein Forschungszentrum wird – das VALIE EXPORT Center – war eine Voraussetzung von meiner Seite. Vor Jahren tauchte einmal die Idee auf, ein Museum zu errichten, wie das andere international bekannte österreichische Künstler auch haben. Für mich würde aber ein Museum nie in Frage kommen. Ich brauche meine Arbeiten nicht in einem Museum, wo sie zwar zugänglich wären, aber nicht beforscht werden. Mich interessiert aber genau die Forschung. Mich interessiert dieser Output und nicht eine Ausstellung von Zeit zu Zeit, in welcher Kombination dann auch immer. Es ist klar, dass man die Werke zeigen muss, aber in einem Archiv oder einem Forschungszentrum zeigt man Archivalien und Werke ja auch. Das Schöne war, dass Linz meine Vorstellungen gleich aufgenommen und sehr unterstützt hat. Das ist wirklich sehr schön für mich.
Auf der anderen Seite ist natürlich ein großer Wermutstropfen damit verbunden, ein Trennungsschmerz, weil die Dinge dann weg sind, sie sind dann woanders. Aber die Tatsache, dass sie dann woanders sind, ist vielleicht gar nicht der springende Punkt, aber sie werden dadurch anders: Durch den Aufbau des Centers und durch die Rezeption werden sie anders. Für mich waren sie einfach Dinge, die in Schachteln, in Ordnern, in Kisten, in Koffern sehr gut gelagert waren, sie waren da und haben mich in dieser Form immer begleitet – sie waren fast wie Reisebegleiter für mich, Begleiter auf meiner künstlerischen Reise, aber auch auf den Reisen, die ich gemacht habe. Und jetzt bekommen sie eine andere Ordnung, sie werden anders präsentiert, die Rezeption ist anders, man wird sie anders zusammenfassen. Und ich bin froh, dass ich noch daran beteiligt sein kann. Ich will aber in die Arbeit des Centers nicht dreinreden! Wie die Dinge rezipiert werden und wie das Archiv aufgebaut wird, das ist etwas Spannendes.
Dass ein Archiv in Linz wirklich so einen großen Stellenwert hat und man weiß, wie man mit diesen Dingen umgehen muss – so etwas gibt es nur ganz selten.
Was mich als Drittes natürlich auch sehr freut, ist, dass Linz – und das soll jetzt nicht als Eigenlob verstanden werden – durch diesen Ankauf einen großen Schritt zu einem neuen, modernen Denken macht, weil die Archivalien und Archive von Künstler und Künstlerinnen meiner Generation, oder vielleicht auch schon die von jüngeren, sehr wichtig sind. Und dass ein Archiv in Linz wirklich so einen großen Stellenwert hat und man weiß, wie man mit diesen Dingen umgehen muss – so etwas gibt es nur ganz selten. Ich kenne viele Archive und Sammlungen oder Archive in Sammlungen, auch international, also im Westen – ich weiß nicht, wie die Lage in Asien ist –, die sehr unbenutzbar sind. Die werden zurückgehalten, die rückt man nicht raus, die stellt man kaum zur Verfügung. Wenn man dort recherchieren will, ist es sehr kompliziert. Meistens gibt es auch nicht den entsprechenden Verwaltungsapparat, das ist ja ein ganz wichtiger Aspekt dabei.
In Linz ist das anders. Mir ist es sehr wichtig, dass man die Geschichte kennen lernt: meine biografische Geschichte, meine künstlerische Geschichte, meine intellektuelle Geschichte. Und dass man auch Zusammenhänge mit anderen Künstlen und Künstlerinnen derselben Epoche entdecken kann, mit Künstlern und Künstlerinnen der Nachkriegszeit – obwohl ja nur wir in Europa so etwas wie eine „Nachkriegszeit“ hatten, anders als die USA, die keine „Nachkriegszeit“ hatten. Da gab es viele Kontakte: Viele haben dasselbe gemacht, wollten dasselbe, hatten dieselben Vorstellungen und dieselbe Einstellung zur Ästhetik der Kunst und zur Expansion, der Erweiterung der künstlerischen Bereiche in den verschiedenen Medien. Und das gilt auch für die Malerei oder Skulptur, also nicht nur für die technischen Medien. Das Schöne ist: Wer da forschen will, wird merken, welch starke Bewegungen es da international gegeben hat. Und ich bin ein Teil davon und konnte etwas dazu beitragen.
Wenn man bedenkt, dass auch Ars Electronica ein riesiges Archiv besitzt, wird Linz ja jetzt eigentlich zur Stadt der Medienkunstarchive!
VALIE EXPORT: Wenn man die Archive dann auch noch in wirklich gut geeigneten Gebäuden unterbringen würde, wo sie gut verwaltet werden können … das ist ein riesiger Gewinn für die Hauptstadt eines Bundeslandes – und das an einem fließenden Wasser, das von ganz oben kommt und nach ganz unten fließt und dabei so viele Länder verbindet … das klingt schon ein bisschen dramatisch und kitschig!
Ich möchte auch noch eines sagen: Reinhard Kannonier, dem Rektor der Kunstuniversität, verdanke ich sehr viel, weil er sich von Anfang an dezidiert für das VALIE EXPORT Center eingesetzt hat, genauso wie Julius Stieber, der Kulturdirektor der Stadt Linz. Das hat mir sehr dabei geholfen, mich von den „Dingen“ zu trennen …