Christa Sommerer ist eine der Pionierinnen der Medienkunst und Professorin am InterfaceCulture Lab der Kunstuniversität Linz.
Wie ist deine Beziehung zur Medienkunststadt Linz entstanden?
Christa Sommerer: Mein Bezug zu Linz ist schon sehr früh entstanden. Ich muss so ungefähr fünfzehn Jahre alt gewesen sein, als ich Ars Electronica zum ersten Mal wirklich wahrgenommen habe. Und zwar über diese Partizipationsform, bei der man selbst das Radio oder den Schallplattenspieler ins Fenster stellen konnte, um Bruckners Achte Symphonie als „Klangwolke“ in die Stadt zu tragen. Dieses Event ist in den Medien sehr stark kommuniziert worden. Mein Bruder und ich haben das irgendwie mitbekommen, vielleicht hat auch unsere Mutter davon erzählt. Wir haben also mit unserem Radio mitgewirkt: es war ein tolles Erlebnis, in unserem kleinen Ort konnte man wirklich überall Bruckners Achte Symphonie hören. Zu dem Zeitpunkt ist mir der Impakt der Ars Electronica das erste Mal wirklich bewusst geworden.
Später bin ich dann natürlich immer wieder mit Ars Electronica in Berührung gekommen, auch über Peter Weibel, bei dem ich in Wien studiert habe und der jahrelang der künstlerische Leiter der Ars Electronica war. Gemeinsam mit Laurent Mignonneau war ich 1991 und 1992 als Besucherin beim Festival, und wir haben begonnen, uns für Medienkunst zu interessieren. 1993 haben Laurent und ich zum ersten Mal bei Ars Electronica ausgestellt, und danach so alle paar Jahre wieder.
Als aktive Künstlerin verbindet mich mit Linz und der Ars Electronica also eine relativ lange Geschichte. Seit wir als Professoren an der Kunstuniversität in Linz unterrichten – seit mittlerweile zehn Jahren – verfolge ich die Entwicklung in Linz ganz eng mit. Ja, wir haben auch die Gelegenheit, sie mitzugestalten. Dies begann schon 2004, als wir noch Professoren an der japanischen Medienkunstuniversität IAMAS waren. Damals ko-organisierten wir die IAMAS-Campus-Ausstellung. 2005 begannen wir dann mit unserem eigenen Masterstudienprogramm „Interface Cultures“ an der Kunstuniversität in Linz, und seit mittlerweile zehn Jahren präsentieren wir jedes Jahr Arbeiten von Studierenden aus unserem Masterstudienbereich im Rahmen der Ars Electronica.
Bei der ersten Ausstellung 2005 war es noch eine kleine Gruppe von vier, fünf Projekten, mittlerweile ist unser Studienprogramm stark angewachsen. Es wurden bisher um die 120 Studierendenprojekte gezeigt, bei jeder Ausstellung präsentieren wir um die fünfzehn Projekte, und das ist schon eine Auswahl!
Ars Electronica als Sprungbrett, um sich zu vernetzen und sich langsam eine Karriere aufzubauen.
Die jungen KünstlerInnen haben ein großes Interesse, an der Campus-Ausstellung teilzunehmen und so bei Ars Electronica auftreten zu können. Viele, die das geschickt machen, nutzen das natürlich auch als Sprungbrett, um sich zu vernetzen und Leute kennen zu lernen, bei anderen Festivals eingeladen zu werden und sich so langsam eine Karriere aufzubauen. Das ist für die Studierenden eine extreme Chance. Ich glaube, dass viele auch eigentlich deswegen nach Linz kommen, um an der Kunstuniversität zu studieren, denn sie wissen, dass sie damit das Umfeld Ars Electronica gleich mit „einkaufen“.
Ich sehe es auch selbst, wenn ich Vorträge im Ausland halte: Da kommt unweigerlich der Kommentar: „Ah, ihr seid ja in Linz, da ist ja die Ars Electronica!“ Das heißt, man verkauft Ars Electronica immer mit und hat so einen doppelten Effekt, einen sehr guten Werbe- und Aufmerksamkeitseffekt.
Wie erlebst du die Verflechtungen zwischen den Institutionen hier in Linz, dieses „Biotop“, das sich rund um Ars Electronica entwickelt hat?
Christa Sommerer: Für Interface Cultures herrscht hier insofern ein gutes Umfeld, als es unheimlich viele medienkompetente Menschen in Linz gibt. Manche kommen von der FH Hagenberg, manche haben schon im Ars Electronica Futurelab gearbeitet. Auch die Studierenden, die bei uns ihren Abschluss machen, finden dort Jobmöglichkeiten.
Man sollte nicht zuviele Top-down-Konzepte oder künstliche Strukturen entwickeln. Hier passiert sehr viel, grassroot-mäßig, von selbst, wie bei einem auto-katalytischen System. Emergenz ist wichtig.
Sie gehen zu Ars Electronica Solutions, zu einem der vielen kleinen Start-Ups in Hagenberg oder in die Tabakfabrik, wo sich viele Initiativen im Bereich der Creative Industries angesiedelt haben. Es hat sich hier wirklich ein Biotop herausgebildet. Und trotzdem ist alles noch sehr persönlich. Man braucht keine Top-down-Konzepte oder künstliche Strukturen. Hier passiert sehr viel, grassroot-mäßig, von selbst. Also sehr vernetzt, sehr offen, sehr positiv.
Was kann nun der Titel „UNESCO – City of Media Arts“ für Linz bedeuten?
Christa Sommerer: Ich glaube, dass dadurch noch mehr Aufmerksamkeit auf Linz fällt. Generell ist jetzt eine gewisse Sättigung erreicht, was Medienkunstfestivals betrifft. Ich war gerade in Murcia in Spanien beim Media Art Futures Festival. Dort ist beklagt worden, dass es zwar viele Festivals gibt, die aber alle über weniger und weniger Budget verfügen. Sie können es sich kaum mehr leisten, die KünstlerInnen vor Ort zu featuren. Das meiste wird via Video-Dokumentation gezeigt, oder die KünstlerInnen müssen sich ihre Ausstellung selbst finanzieren. Die jetzige Situation ist anders als in den 1990er- oder 2000er-Jahren, wo es noch Budgets dafür gegeben hat, um Arbeiten auch wirklich schön zu präsentieren oder auch gute, gewachsene Qualität auszustellen. Es besteht die Gefahr dass Medienfestivals zu „studentisch“ und „Hype-orientiert“ werden, man „verbrennt“ sehr viele junge KünstlerInnen, die sich eine Zeitlang halten, aber schnell wieder verschwinden.
Irgendjemand hat einmal gesagt: „Media art has no memory.“ Und das stimmt.
In diesem Kontext wäre es gut, wenn man in Linz auch die Geschichte der Medienkunst, also das, was schon entwickelt und diskutiert wurde, mehr zeigen und stärker auf kunsthistorische Themen eingehen würde. Zum Beispiel mit thematischen Ausstellungen in einem Museum. Dieser Zwang, sich immer wieder neu erfinden zu müssen, immer wieder neue Hypes featuren zu müssen, die dann aber schnell wieder von der Bildfläche verschwinden, ist nicht nachhaltig. Es fehlt die Kontinuität, wichtige KünstlerInnenpositionen zu präsentieren und historisch wichtige Schwerpunkte herauszuarbeiten. Dies sollte mit professionellen MedienkuratorInnen in professionellen Ausstellungssituationen gemacht werden. Da gibt es meiner Meinung nach noch großen Handlungsbedarf. Man vergisst so vieles, was schon gemacht wurde. Irgendjemand hat einmal gesagt: „Media art has no memory.“ Und das stimmt. Ich sehe für Linz eine große Chance darin, thematisch das bisher im Rahmen der Ars Electronica erarbeitete Wissen sowohl in theoretischer als auch künstlerisch-praktischer Sicht enger mit der Kunstgeschichte zu verknüpfen. Es besteht nämlich sonst die Gefahr, dass sich Medienkunst vollständig in der zeitgenössischen Kunst auflöst und damit vieles, was hier in Linz gezeigt, besprochen und diskutiert wurde vergessen wird.
Die Etablierung des VALIE EXPORT Center ist ja so gesehen eine große Chance für Linz?
Christa Sommerer: Genau, das ist auf jeden Fall wichtig. Ich glaube, dass man noch mehr ähnliche Initiativen bräuchte. Natürlich ist performative Kunst sehr wichtig, aber man könnte auch weitere Themen aus der Medienkunstgeschichte besetzen. Eine Medienkunstsammlung oder Ankäufe von wichtigen Werken der Medienkunst durch ein Kunstmuseum wären zum Beispiel wichtig. Wenn BesucherInnen im Rahmen der „UNESCO – City of Media Arts” nach Linz kommen, sollen sie auch die Gelegenheit haben, wichtige Werke der Medienkunst als echte Artefakte zu sehen und zu erleben.
Im Moment verschwindet einfach zu viel zu schnell. Die Vergangenheit ist zu wenig präsent.
Es gibt ja schon einige solche Initiativen: Das Palais de Tokyo in Paris zeigt in letzter Zeit viele wichtige Retrospektiven der Kybernetischen und Kinetischen Kunst, und auch das ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe, wo Peter Weibel immer wieder Ausstellungen mit PionierInnen der Medienkunst organisiert, die seit dreißig, vierzig Jahren in diesem Feld aktiv sind (z. B. Lynn Hershmann). Hier werden Dinge aus einer gewissen historischen Distanz neu betrachtet und präsentiert. Das ZKM hat auch eine Sammlung von Medienkunstwerken aufgebaut. So etwas bräuchten wir auch in Linz. Das LENTOS Kunstmuseum wäre ein guter Ort, um den Kunstkontext in der Medienkunst stärker herauszustreichen und schwerpunktmäßige Themenausstellungen in Zusammenarbeit mit der Ars Electronica zu entwickeln.
Im Moment verschwindet einfach zu viel zu schnell. Die Vergangenheit ist zu wenig präsent, und das Rad wird immer wieder neu erfunden. Auch im Universitätskontext müssen wir den Studierenden immer wieder bewusst machen, was es schon alles gegeben hat – wir fangen ja nicht bei Stunde Null an! Wenn man sich Technologie aneignet und damit künstlerisch arbeitet, sollte man sich bewusst sein, dass es schon eine lange Vorgeschichte zu deren konzeptuellen, künstlerischen, soziologischen, philosophischen und technologischen Aspekten und ihrer Bedeutung gibt. Dies muss immer wieder in Erinnerung gerufen werden, und da wären thematische Ausstellungen im Kunstkontext und eine Medienkunstsammlung in Linz eine gute Möglichkeit diese Aspekte breiter darzustellen und zugänglicher zu machen.