Hannes Leopoldseder, Mitbegründer von Ars Electronica, spricht im Interview mit Creative Region Linz & Upper Austria über die Faktoren, die aus der Stahlstadt Linz eine Medienkunststadt machten.
Warum gründeten Sie 1979 in Linz ein Medienkunstfestival?
Hannes Leopoldseder: Als vor einigen Jahren ein Journalist des „Wall Street Journal“ über die Ars Electronica in Linz berichtete, stellte er dieselbe Frage: Warum entsteht Ars Electronica gerade in Österreich, in einem Land, das mit Musik, Kunst und Vergangenheit identifiziert wird, und warum in Linz, in einer Stadt, die für Eisen und Stahl steht? Auch bei Vorträgen über die Ars Electronica, sei es in Shanghai, in Gwangju, einer überaus ambitionierten Kulturstadt in Südkorea, oder im Iran, in Teheran – immer wieder die Frage: Warum in Linz? Meine jeweilige Antwort klingt einfach, ist es aber nicht: Wir, das waren der Computer-Musiker Hubert Bognermayr und ich, hatten in Linz die Idee zu Ars Electronica, und Politikerinnen und Politiker von Linz waren es, die daran glaubten und die Mittel dafür zur Verfügung stellten. Und offensichtlich kam noch etwas dazu: Es war genau die richtige Zeit, wie Victor Hugo, der große Romancier des 19. Jahrhunderts, sagte: „Nichts ist stärker als eine Idee, deren Zeit gekommen ist“ – diese Zeit war das Jahr 1979.
Welche gesellschaftliche und kulturelle Rolle sollte die Ars Electronica spielen?
Wir setzen auf Mikroelektronik als identitätsstiftendes Element für die Stadt. Auf Elektronik als Rohstoff der Zukunft.
Hannes Leopoldseder: Linz war nach dem Zweiten Weltkrieg eine von Umweltproblemen geplagte Stahlstadt, die jedoch zu einem gewaltigen Aufschwung ansetzte. Die VOEST investierte, um die Luftqualität radikal zu verändern. Es entstanden die Johannes Kepler Universität, die Kunstuniversität, das Brucknerhaus. Das Forum Metall 1977 und das Forum Design 1979 von Helmuth Gsöllpointner zeigten richtige Wege in die Zukunft auf. Mit Ars Electronica wollten Bognermayr und ich einen Schritt weitergehen. Den Anlass lieferte uns ein vom Brucknerhaus in Aussicht genommenes Symposium mit Musik, Video und Elektronik. Unsere Idee: Wir gehen darüber hinaus. Wir setzen nicht auf Eisen und Stahl. Wir setzen auf Mikroelektronik als identitätsstiftendes Element für die Stadt. Auf Elektronik als Rohstoff der Zukunft.
Für das Festival kristallisierten sich Kunst, Technologie und Gesellschaft als Leitlinie heraus, eine Leitlinie, die nach mehr als drei Jahrzehnten noch immer gilt.
Dazu kam eine zweite Idee, an der mir als Journalist des ORF sehr viel gelegen war: Wenn wir ein Festival mit Symposien, Ausstellungen und Konzerten organisieren, so kann es sich nicht nur um ein einmaliges Spezialereignis für ein Fachpublikum handeln. Ich wollte die ganze Stadt involvieren. Daher war es erforderlich, ein Projekt zu finden, das dem damaligen sozialdemokratischen Postulat „Kultur für alle“ folgte, ausgelöst durch das gleichnamige Buch des Frankfurter Kulturdezernenten Hilmar Hoffmann. Durch Zufall kam ich in Kontakt mit dem Komponisten und Musiker Walter Haupt von der Bayrischen Staatsoper. Ausgehend von einer Open-Air-Aufführung von Walter Haupt in einem bayrischen Dorf entwickelten wir gemeinsam die „Linzer Klangwolke“, ein quadrofonisches Open-Air im Linzer Donaupark mit Anton Bruckners 8. Symphonie. In dem Wissenschaftler und Künstler Herbert W. Franke aus München fanden wir einen Partner für das Symposion und für eine Ausstellung. Ulrich Rützel sorgte für das Marketing.
Für das Festival kristallisierten sich Kunst, Technologie und Gesellschaft als Leitlinie heraus, eine Leitlinie, die nach mehr als drei Jahrzehnten noch immer gilt. Alles überragt jedoch die „Zukunft“ als Schlüsselbegriff, die Zukunft des Lebens, der Menschen, der Welt.
Wie erinnern Sie sich an die Festivalpremiere? Was machte den Start so besonders, dass Ars Electronica zu so einer Erfolgsgeschichte werden konnte?
Hannes Leopoldseder: Am 18. September 1979 war es soweit: Ein Roboter, SPA 12, eröffnete das Festival. Wir hatten die Linzerinnen und Linzer aufgefordert, ihre Radiogeräte ins Fenster zu stellen, um die Brucknermusik über die ganze Stadt zu tragen. Linz wurde zur Klangstadt. 100.000 Menschen kamen zu dieser Linzer Klangwolke in den Donaupark. Ein noch nie dagewesenes Ereignis.
Dieser 18. September mit den 100.000 den Menschen bei einer Brucknersymphonie markiert einen Angelpunkt in der Entwicklung von der Industrie„stadt Linz gleichzeitig zur Kulturstadt Linz mit eigener Prägung zwischen Wien und Salzburg. Die mediale Berichterstattung über die erste Ars Electronica überstieg alle unseren Erwartungen. Der Spiegel („Swinging Toni“), die Süddeutsche, die Frankfurter Allgemeine, Die Zeit, der gesamte Boulevard berichteten über 100.000 Menschen bei einer Brucknersymphonie und über das neue Festival, das mit der Klangwolke und einem Roboter eröffnet wurde.
Wie konnte sich Ars Electronica in jene internationale Imageträgerin für die Stadt Linz entwickeln, den sie heute darstellt?
Hannes Leopoldseder: Wie jedes Produkt, so bedarf auch ein Festival ständiger Impulse. Ich persönlich konnte in den weiteren Jahrzehnten noch zwei Ideen zu dieser Entwicklung beisteuern: 1987 die Idee zum Prix Ars Electronica, heute weltweit der wohl renommierteste Preis für digitale Medien. Und 1991 die Idee zum Bau des ersten Ars Electronica Center, das 1996 eröffnet wurde. 2009, als Linz Europäische Kulturhauptstadt wurde, ermöglichte Bürgermeister Dr. Franz Dobusch den Bau des neuen Ars Electronica Center, jetzt mit 6.700 Quadratmetern.
Linz hat sich als moderne Stadt der Arbeit, der Industrie, als Lebensstadt und Zukunftsstadt positioniert.
Das AEC ist heute eine eigene GmbH, im Eigentum der Stadt Linz. Gerfried Stocker als Künstlerischer Leiter und Diethard Schwarzmair als Kaufmännischer Leiter sind mit 140 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die innovative Führung des Hauses verantwortlich. Linz hat sich als moderne Stadt der Arbeit, der Industrie, als Lebensstadt und Zukunftsstadt positioniert. Seit 1. Dezember 2014 ist Linz im internationalen Netzwerk der UNESCO Creative Cities mit dem Schwerpunkt „Media Arts“ vertreten. Die Auszeichnung der UNESCO ist für Linz ein weiterer Baustein auf dem Weg zur Stadt der Zukunft.